alexander koch - breaking the clash /text
breaking the clash /von alexander koch
Ulrich Polsters Medium ist die Video-Großinstallation1. Sein Gegenstand ist die Zersplitterung sozialer Beziehungsräume und politischer, identitärer Sinnkonstrukte. Seine Methodik ist die der Schnittchoreographie – Fragmentierung von Körpern und deren Handlungsfähigkeit, streng rhythmisierte Zerlegung sowohl von Realräumen als auch von Bild- und Tonarchitekturen, das bisweilen unmerkliche Ineinanderschieben divergierender Zeitachsen und Erinnerungshorizonte.
Brüche sind für Polsters Arbeit konstitutiv2. Diskontinuität und
Unterbrechung bilden die formale und die argumentative Grundgrammatik der
Produktion.AlsVoraussetzung von Bildkonstruktion und -rezeption sind sie auf
jeder Ebene strukturbildend. Bruch ist Teilung, Trennung. Aus ihr folgt das
konfrontative, duale Moment wie auch das Moment der Lücke, das Ausbleiben. Beide
Momente sind den Werken Polsters immanent. Konfrontation und Lücke, Absenz,
erscheinen dabei als die Konstanten jeder möglichen Form von Relationalitätmal
als gewalttätige, mal als erotische, mal als melancholische oder auch rein
formale Konstellationen und Qualitäten. Sie strukturieren Polsters
Installationen in zwei Richtungen: nach innen prägen sie die Sujets, Bilder und
Rhythmen, nach außen bestimmen sie das Verhältnis zwischen Projektionsflächen und
Betrachtern. Diese erleben die Bilder und ihre GegenständealsdemZugriff ständig
entzogene,entglittene.Trotz derHaptik ihrer visuellenOberflächen, trotz ihrer
massiven, attackierenden, oft auch monumentalen skulpturalen Präsenz, werden sie
niemals faktisch. Sie sind zu fern oder zu bruchstückhaft, zu unscharf, zu groß
oder zu langsam, oder auch zu schön, jedenfalls ästhetisch distanziert, in eine
Abstraktion gerückt, die sie vom Dokumentarischen und Tatsächlichen abdrängt hin
in Richtung eines sich u.a. aus Malerei- und Musiktraditionen speisenden Farb-
und Kompositionsraumes.
Ulrich Polsters künstlerische Praxis entstammt dem Experimentalfilm, der gegen
Ende der 80er Jahre in Ostdeutschland ein inoffizieller kultureller Raum
kritischer Reflexion und Distanzierung war.Mit Beginn der 90er Jahre fand von
hier aus vielfach eineReformulierung künstlerischen und medialen
Selbstverständnisse statt. Wenn Ulrich Polsters Installationen heute an die
formalen Vokabulare der Videokunst seit den 70er Jahren und an die
Video-Großinstallationen der 90er Jahre anknüpfen – Bruce Nauman und Douglas
Gordon sind hier relevant – bringt er in diese Bildpraxis neben spezifischen
cinematographischen Verfahren v.a. ein ästhetisches und konzeptionelles Moment
neu ein, das dem östlichen Bildraum3 entstammt und auf eine Spiritualität
Bezug zu nehmen weiß, die ebenso in der Ikonenmalerei wie auch etwa in den
Filmen Andrej Tarkowskis lichtführend ist. Dies stellt zugleich ein
medientheoretisches Argument dar. Der Vorschlag von Stéphanie Katz, Ulrich
Polsters Videobilder wie Schaukästen aufzufassen, trifft die Spezifik des
Ansatzes. Die Projektionen wirken an der Vorderseite verglast, sind
undurchlässig und unterkühlt, während sie von hinten her von einem
immateriellen, nichtmaterialistischen (Gold)Grund ausgeleuchtet scheinen.
Kälte der Farben, Sachlichkeit der narrativen Logik, Genauigkeit des Schnitts
und großzügige, klare Anlage der Form. Ob in den nervösen, aggressiven
Rauminstallationen oder in ruhigen, kraftvollen, mitunter altmeisterlich
gefilmten Bildern, Ulrich Polster ist hier wie da Purist. Die strenge Schönheit
und einfache Gewalt gibt seinen Videoarbeiten eine dem Medium oft fern liegende
Zeitlosigkeit. Den sozialen und kulturellen Clash im Gegenwartssystem inszeniert
Ulrich Polster vergleichsweise gelassen mal als Drift und Dérive zwischen
verschiedenen Momenten einer möglichen ästhetischen Erfahrung, mal in
deutlichen, harten Bildern, deren Motive für sich sprechen: Sture Esel stehen
bewegungslos in der Landschaft – einem Mann wird der Boden unter den Füssen
weggezogen – Mann und Frau in ständigem Fall vom Stuhl – zwei Personen klopfen
sich gegenseitig wie manisch auf die Schulter – eine geschlossene und eine
offene Faust.
Plötzlich Schneetreiben4. Im Augenblick der Unterbrechung des Bild- und
DolbySurround-Tohuwabohus leuchtet in dessen Mitte eine kleine
Projektionsscheibe auf und versetzt ein Bild Caspar David Friedrichs in
Bewegung, das von einer Bach-Fuge getragen wird. Auf einer Anhöhe ein kahles,
schlankes Baumgerüst vor dunklem Himmel, davor gewaltige Wirbel aufwehenden
Schnees. Ein Bild von klassischer Schönheit, voller Stolz, Dauer, Reminiszenz,
das es unterlässt, Pathos und Empfindsamkeit wegzuleugnen, es steht
kontrapunktisch mitten im Realitätslärm.
1. Es sind nicht ausschließlich Großinstallationen, die Ulrich Polster
realisiert, diese sind aber der konzeptionelle Fluchtpunkt seiner Praxis
und aus diesen beziehen auch seine kleineren Stücke ihre Methodik und ihr
Bildvokabular.
2. Die politischen, sozialen und technologischen Deformationen, die Polster
in den Konstruktionen von Identität und Gemeinschaftlichkeit im Anschluss
an den Fall der Mauer seit 1989in Ost-Berlin und Leipzig und in Moskau
und St. Petersburg einerseits sowie bei Studienaufenthalten in London und
New York andererseits beobachtete, haben seine künstlerische Arbeit
geprägt.
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- 3. Siehe auch den Text von Stéphanie Katz [return]
- 4. Fragment V, 7-Kanal-Rauminstallation, 10:59 min, 2003/2004 [return]